Wie ich mich in meine eigene Mutter verwandelte

Es gibt eine Sache, die sich fast jede Frau schwört, wenn sie schwanger wird.

Ich meine damit nicht das Versprechen, die beste Mama der Welt zu werden. (Wir wissen alle, dass wir das sein werden… Bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir realisieren, dass es gar nicht so einfach ist und wir auch damit zufrieden sind, die drittbeste zu sein).

Ich meine auch nicht das Versprechen, unseren Kindern jeden Tag selbstgekochtes, organisches Gemüse zu servieren (denn NATÜRLICH haben wir die Zeit dafür). Und hier ist auch nicht die Rede von dem Vorsatz, unsere Prä-Baby- Figur innerhalb von sechs Wochen wieder zurück zu erlangen – wie es alle normalen Frauen eben tun. Sechs Monate (oder Jahre) sind auch in Ordnung.

Nein – darauf will ich nicht hinaus. All diese Dinge sind bloss Details.

Das unumstössliche Versprechen, dass wir uns von der ersten Sekunde der Schwangerschaft auf die Fahne schreiben, ist, niemals, aber wirklich niemals so zu werden wie unsere eigene Mutter. Dies gilt insbesondere und ausdrücklich für Erziehungsfragen.

Eine der grossen Freuden des Elternseins ist die Tatsache, dass wir Dinge anders machen können, als unsere eigenen Eltern. Wir können all die Dinge tun, von denen wir uns wünschen, unsere Eltern hätten sie mit uns gemacht. Und alles nicht tun, worauf wir damals lieber verzichtet hätten.

Krümelige Kindermünder mit einem nassen Spucke-Taschentuch sauberwischen, sich übertrieben laut auf dem Spielplatz unterhalten, keine Gnade beim Einhalten der Schlafenszeiten kennen, in total uncoolen Klamotten vor der Schule auftauchen, so dass sich unser Kind aus Angst vor der sozialen Ächtung durch seine coolen Klassenkameraden vor uns versteckt, „Oma-Parfüm“ tragen, zu jedem Essen Erbsen servieren, „Um elf bist du zu Hause, junges Fräulein!“ sagen und uns rund um die Uhr Sorgen machen.

„Ich nicht!“ brüsten wir uns noch im Kreissaal, während wir unser Neugeborenes in den Armen halten.

„Du, mein Schatz, hast Glück. Du hast eine super coole Mama. Ich werde mich niemals peinlich auf dem Spielplatz benehmen. Ich werde niemals eine lila Latzhose aus Nicki-Stoff oder Clogs tragen, wenn ich dich von einer Party abhole. Du willst dir die Nase piercen lassen und dein Haar grün färben? Kein Problem! Du willst in deinem Kinderzimmer eine Zigarette rauchen? Na los, gerne doch! Aufbleiben bis Mitternacht? Ganz wie du magst. Ich bin cool drauf, gechillt, easy peasy, total offen – die perfekte Mutter, die einfach jeder gerne hätte.

Doch dann, irgendwann zwischen dem Verlassen des besagten Kreissaals und dem ersten Geburtstag unseres Kindes, beginnen wir zu begreifen, dass einige der Dinge, die unsere Eltern gemacht haben… doch nicht komplett bescheuert waren. Sondern sogar ziemlich vernünftig.

Scheinbar banale Dinge wie feste Schlafenszeiten. Es funktioniert einfach und bedeutet, dass wir tatsächlich mehr als zwei Stunden Schlaf pro Nacht bekommen können und unsere Kinder nicht ständig knatschig drauf sind.

Oder die Herausforderung, unseren Kindern Gemüse schmackhaft zu machen, damit wir uns nicht einer ernährungsbedingten Diabetes schuldig machen. nicht an Skorbut erkranken.

Die Erkenntnis, dass wir einfach zu erschöpft sind, um uns um die Wäsche zu kümmern und daher das erstbeste Kleidungsstück, dass wir zu fassen kriegen, überzuwerfen – selbst, wenn es aus Nicki-Stoff und mit getrockneter Baby-Spucke und Katzenhaaren bedeckt ist. Obwohl wir noch nicht mal eine Katze haben…

Ist das Tomatensosse an deiner Wange, mein Schatz? Warte, ich wisch das rasch mit etwas Spucke weg und… aaaarrgghhh! Was habe ich da gerade GETAN??!

Ehe wir uns versehen, haben wir uns in unsere eigene Mutter verwandelt.

Das Spucke-Taschentuch ist erst der Anfang. Das erste Anzeichen eines gigantischen Keils, der sich langsam aber sicher zwischen die Mutter-Version, die wir gerne sein würden und jene Version schiebt, zu der uns praktische Veranlagung, Gewohnheit, gesunder Menschenverstand, Liebe und Erschöpfung machen.

Ich erwische mich dabei, wie ich Dinge zu meinen Kindern sagen, bei denen ich mir direkt im Anschluss den Mund mit Seife ausspülen möchte – so sehr höre ich mich wie meine Mutter an.

„Du kannst spielen gehen, wenn du deine Karotten gegessen hast.“

„Das nennst du ein aufgeräumtes Zimmer?“

„So gehst du mir nicht aus dem Haus.“

„Hast du eine Ahnung, wie spät es ist?!“

Und so weiter und so weiter.

„Phrasen für besorgte Eltern: Gesamtausgabe“ ist ein dicker Wälzer.

Und ohne es zu beabsichtigen, halten wir uns alle an seine Vorgaben.

Natürlich kommen für jede Generation neue Phrasen dazu. Meine Kinder kennen (und hassen!) sie bereits und ich zweifle nicht daran, dass sie sich längst geschworen haben, diese Dinge später niemals zu ihren eigenen Kindern zu sagen: „Schalte das iPad aus!“, „Du warst jetzt lange genug am Computer – jetzt ist aber Schluss!“, „Kein Snapchat am Esstisch!“.

Ich bin nicht sicher, ob auch Väter die „Ich-werde-wie-mein-eigener-Vater“-Angst kennen. Ich vermute, das hängt von dem jeweiligen Vater ab. Fest steht, dass die meisten von uns eine ziemlich klare Vorstellung davon haben, was für Eltern sie sein wollen. Wir nehmen uns fest vor, cool, hip und locker zu sein und stranden in einer Realität, die uns heimlich und Stück für Stück in vielen Punkten zu einer Kopie unserer eigenen Eltern macht.

Diese Entwicklung nennt man einfach „Gute Erziehung“. Sich Gedanken machen. Das Beste für seine Kinder wollen. Sehr zu unserem Leidwesen – und dem unserer Kinder – bedeutet das eben, die meiste Zeit eher langweilig und organisiert zu sein.

Es ist okay, getrockneten Tomatensaft von ihren süssen verschmierten Gesichtern zu wischen. Sie werden es eines Tages genauso mit ihren Kindern machen. Und Sie sehen ihnen dann dabei zu – und lächeln.





Kommentare
  1. Wie ich mich in meine eigene Mutter verwandelte
    Annegret | Freitag,Juni 03.2016

    Mit einem Schmunzeln im Gesicht: stimmt haargenau. Annegret

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