Ist Teilzeit wirklich ein Gewinn an Zeit?

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Die Klassiker: „Ach, hast Du es gut. So früh schon Feierabend…“ oder noch besser: „Kaum da, schon wieder weg“. Solche Sprüche hat wohl jeder schon einmal gehört, der Teilzeit arbeitet und deswegen in der Regel früher das Büro verlässt. Aber steht Teilzeitbeschäftigten – häufig Eltern – tatsächlich mehr Zeit zur Verfügung?

 

Reine Mathematik: 30 Stunden sind nicht 40 Stunden

Klar, ich bin nur 30 Stunden in der Woche im Büro! Ich gehe um 15:30 Uhr – übrigens auch immer ziemlich pünktlich. Arbeite ich deswegen weniger? Eher nein! Denn mein Tag ist mit Dienstschluss längst nicht vorbei. Oft habe ich das Gefühl, dass er dann erst richtig Fahrt aufnimmt. Ich flitze zur U-Bahn und hoffe jedes Mal, dass der U-Bahnfahrer noch etwas mehr aus dem Triebwagen rausholt als am Tag zuvor. Wenn ich dann um kurz vor 16 Uhr meinen Sohn aus der KiTa abhole, atme ich erstmals durch und entspanne kurzfristig – sehr kurzfristig, einmal durchatmen eben.

Grössere Ruhephasen lässt der„kleine Chef“, der nun das Ruder übernimmt, nicht zu.

Überhaupt dürfte es in der Arbeitswelt niemanden geben, der intensiver seine Untergebenen in Atem hält, als ein kleines Kind sein Mutter. Es beginnt schon mit dem täglichen Kampf in der Garderobe der Kita. Es dauert ewig und drei Tage, bis mein Sohn endlich alle Kleidungsstücke angezogen hat und wir auf dem Heimweg sind. Nun gilt es, ihn möglichst unbemerkt an der Bäckerei an der Ecke vorbei zu navigieren, sonst heisst es für mich: Schokobrötchen kaufen oder Heulkrampf aushalten. Endlich Zuhause werden alle schmerzlich über den Tag vermissten Spielzeuge bespielt, natürlich sollte ich bestenfalls dabei bleiben und mich keinen Meter wegbewegen oder es gar wagen, einen Moment für andere, gar eigene Dinge zu nutzen.

Leiden auf höchstem Niveau

Ich liebe jeden dieser Nachmittage. Es gibt keine schöneren Momente in meinem Leben, als all die vielen alltäglichen und doch immer wieder neuen Augenblicke mit meinem Sohn. Allein: Entspannter geht’s vormittags im Büro zu, egal, wie viel zu tun ist. Welch ein Luxus, auf die Toilette gehen zu dürfen ohne einen interessierten Gast dabei zu haben. Eindeutige Signale, wie etwa der konzentrierte Blick in den Bildschirm, kommen an. Ich werde von den Kollegen nur im Notfall angesprochen, ansonsten lassen sie mich tatsächlich in Ruhe. Für mein Kind absolut undenkbar – um nur zwei Beispiele zu nennen.

Ist Teilzeit jetzt ein Gewinn oder nicht?

Für mich ist sie ohne Alternative. Mein Kind kann in dem Alter nun mal noch nicht alleine nach Hause finden. Abgesehen davon würde ich bei einer 40 Woche zu noch weniger kommen. Für den Haushalt bleibt unter der Woche kaum Zeit – und ich bin nicht nur geschult in Time-Management, ich halte mich auch für durchaus talentiert, mich ordentlich zu organisieren.

 

Schnell eine Waschmaschine anschmeissen geht zwischendurch, aber zu mehr reicht es meist trotzdem nicht. Denn der Nachmittag ist Mama-Zeit. Da wird gespielt, getobt, gekuschelt, aber auch gezickt, gemotzt und getrotzt. Ich liebe es! Es gibt keinen besseren Chef als das eigene Kind…

 



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