Alleinerziehend den Alltag meistern

Unsere Lieblingsblogger schreiben für Sie

Blogger Jörg kennt die Herausforderungen, die alleinerziehende Väter und Mütter jeden Tag meistern. Er ist alleinerziehender Papa einer behinderten Tochter.

Die heute sechsjährige Svenja ist drei Monate alt, als Ärzte bei ihr eine komplexe Hirnfehlbildung feststellen. Jörg, ihr Vater, ist alleinerziehend und in Vollzeit berufstätig. Er berichtet auf seinem Blog regelmässig über seinen Alltag als alleinerziehender Papa und setzt sich für mehr Toleranz gegenüber Eltern behinderter Kinder und für Inklusion ein. Für uns schreibt er über die Situation und Problematiken in Sachen Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die ihm im Alltag begegnen.

Wir sind anders

Meine Tochter und ich bilden eine kleine, nicht alltägliche Zwei-Personen-Familie. In ihrem sechsjährigen Leben hat meine Tochter schon vieles sehen und miterleben müssen. Bedingt durch ihre Behinderung haben wir diverse Klinik-Odyseen hinter uns. Meine Tochter ist seit ihrer Geburt behindert. Die Diagnose lautet komplexe Hirnfehlbildung, Balkenanagnese, Epilepsie. Svenjas Entwicklung ist daher erheblich verzögert – geistig wie motorisch. Unser Alltag unterscheidet sich daher von dem anderer Familien.

Urlaubsplanung zu zweit mit meiner Tochter

Es beginnt schon bei der Urlaubsplanung: Die Kollegen mit Kindern haben den Ferienplan im Kopf und tragen sich in Windeseile in den Jahres-Urlaubs-Plan ein. Die kinderlosen Kollegen suchen Lücken und entscheiden spontan, welche Wochen und Tage sie nutzen möchten. Auf meinem Schreibtisch finden sich der Ferienkalender rechts, das Angebotsheft der Lebenshilfe (Selbsthilfevereinigung für Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Familien) links, den Urlaubsplan in ausgedruckter Form in der Mitte. Zwischen den ganzen Papieren liegen Textmarker in verschiedenen Farben und das Telefon mit der Nummer der Mutter liegt griffbereit.

In meinem Arbeitsvertrag sind 29 Tage Urlaub geregelt, in diesem Jahr müssen aber insgesamt 83 schul- bzw. kindergartenfreie abgedeckt werden. Meine Tochter besucht einen Schulkindergarten für behinderte Kinder. Anders als in einem normalen Kindergarten oder einer Kindertagesstätte orientieren sich die Schliesstage unseres Kindergartens an den Schulferien. Als Erstes markiere ich die Ferienbetreuungsangebote der Lebenshilfe, die sich bei einer zweiwöchigen Ferienphase meist auf eine Woche beschränken. Im nächsten Schritt teile ich meine Urlaubstage in einer anderen Farbe ein. So sehe ich, zu welchen Zeiten improvisiert werden muss. Ich telefoniere mit der Mutter und gleiche die übrigen Tage mit ihr ab.

Wie sieht unsere normale Woche aus?

Weiter geht es bei der regelmässigen Wochenplanung: Anders als in „normalen“ Kindergärten bzw. Kindertagesstätten ergibt sich auch hier eine Problematik der Öffnungszeiten. Montag, Dienstag, Mittwoch 08:00-15:30 Uhr, Mittwoch und Freitag 08:00-12:00 Uhr. An den kurzen Tagen gibt es eine Schülerbetreuung bis 17:30 bei der Lebenshilfe. An den langen Tagen übernimmt die Mutter die Betreuung, bis ich aus dem Büro komme.

Unterstützung durch den Arbeitgeber

Es ist ein immenser Aufwand, der betrieben werden muss, um die Betreuung meiner Tochter sicherzustellen und gleichzeitig in Vollzeit arbeiten zu können. Ich habe das Glück, einen Arbeitgeber zu haben, der mich bestärkt und unterstützt. Ich arbeite in Gleitzeit und habe die Möglichkeit, einige Aufgaben im Home-Office erledigen zu können. Mein Arbeitgeber hat ausserdem ein Programm ins Leben gerufen, bei dem man sich u.a. in Sachen Kinderbetreuung beraten lassen kann. Dazu wurde eine Kooperation mit einer Organisation geschaffen, die eine Hotline zur Verfügung stellt, die man 24/7 anwählen kann. Letztes Jahr in den Sommerferien war geplant, dass meine Tochter die ersten drei Wochen tagsüber durch die Mutter betreut wird. Am zweiten Tag wurde die Mutter jedoch krank und eine Alternative musste schnellstens her, um die restlichen zweieinhalb Wochen überbrücken zu können. In dieser Situation rief ich zum ersten Mal bei der Hotline an. Innerhalb von 24 Stunden wurde eine Betreuungskraft gefunden. Ich war erleichtert – trotz der Tatsache, dass mein Gehalt für diesen Monat fast gänzlich für die Betreuung drauf ging.

Aus Erfahrung lernen

Rückblickend muss ich sagen, dass ich es unheimlich schade und traurig finde, dass es für Familien und Betroffene in besonderen Situationen keine ausreichende Beratung oder Informationsmöglichkeiten gibt. Trotz Pflegestufe gingen meine Ersparnisse und vieles darüber hinaus für die Betreuung meiner Tochter drauf. Erst in diesem Jahr, geprägt durch die Erfahrungen der letzten drei Jahre, konnte ich mit einer Menge Improvisation, dem bewussten Einkalkulieren von Gleittagen, der Hilfe von aussen und einer Menge Fantasie ein halbwegs optimales Betreuungsprogramm zusammenstellen. Durch meinen Beruf und meine langjährige ehrenamtliche Tätigkeit konnte ich bislang meine Organisations- und Improvisationserfahrung sehr gut nutzen.

Trotz allem sind wir eine fröhliche, lebenslustige und recht abenteuerlustige, kleine Familie, die viel Spass und Lust am Leben hat. Unser Alltag mag nicht immer einfach sein, aber eine unbändige Portion Optimismus und unsere Offenheit lässt uns das Leben als kleinen Abenteuerspielplatz sehen. Wir gehen nicht immer den konventionellen Weg und sind sicherlich nicht das pädagogisch wertvolle Vorzeigeobjekt – aber wir leben und ich sehe, dass meine Tochter Tag für Tag dem Leben entgegen geht und Entwicklungen macht, die für andere selbstverständlich, für uns aber etwas ganz Intensives und Besonderes sind. Und so haben sich im Laufe der Zeit auch meine Prioritäten geändert.

Und ich bin dankbar! Dankbar, allen die uns bis hierhin geholfen haben und weiterhin helfen werden. Allen, die verstehen dass „behindert“ nicht ausgeschlossen oder anormal bedeutet und allen, die ihre Erfahrungen mit uns geteilt haben.

 

 

Zur Person Jörg Müller

Portrait_BloggerJörg Müller ist 35 Jahre jung und arbeitet im Logistikbereich. Davor engagierte er sich rund 15 Jahre lang ehrenamtlich im Kinder- und Jugendbereich. Seit einiger Zeit betreibt er den Blog alleinerziehenderpapa.de, in dem er über den Alltag mit einem behinderten Kind und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf schreibt. In seinen Texten wirft er oft auch einen kritischen Blick auf die Gesellschaft und deren Umgang mit behinderten Menschen und beschäftigt sich mit dem Thema Inklusion.

 

 

 

 

 

 



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