Wer den Begriff „Perfektionismus“ online recherchiert, erhält in 0,15 Sekunden 420.000 Ergebnisse. Eine nicht unbeachtliche Menge. Viele Menschen haben heutzutage eine Vorstellung von diesem Begriff, da die eigenen Ansprüche oder die der anderen wachsen. Bereits in der Erziehung wird deutlich, dass der Trend zu leistungsstarken Individuen, die montags zum Geigenunterricht, dienstags zum Schwimmen und freitags zum Yoga gehen (um mit ihrem stressigen Alltag fertig zu werden, versteht sich), fortschreitet. Nebenbei sind sie natürlich auf einer quattro-lingualen Schule (Wortneuschöpfung).
Und wie geht es den Müttern? Berufstätigen Müttern? Eine gewisse Portion Perfektionismus ist modern und vielleicht eher als Tugend, denn als Laster zu sehen?! Gerade, wenn man doppelt und dreifach belastet ist, kann Perfektion vielleicht nicht schaden…
Da die Autorin –ganz unperfekt – zu ihren Wissenslücken steht, zieht sie den österreichischen Neurowissenschaftler von der Sigmund Freud Universität Wien, Psychiater, Psychotherapeut und Autor Raphael M. Bonelli zu Rate, um sich dem Phänomen Perfektionismus zu nähern. In seinem Buch „Perfektionismus. Wenn das Soll zum Muss wird.“ nimmt er sich genau dieser Thematik an und entlarvt sie in alltäglichen Geschichten seiner Patienten.
Was ist Perfektionismus und woher kommt er?
Unser Experte beschreibt den Perfektionismus als etwas Problematisches, Ungesundes und für den Betroffenen Unerfreuliches, weil er von einer Angst motiviert ist. Und zwar der panischen Angst davor, Fehler zu machen, aufzufliegen und nicht zu genügen. Es gäbe neben dieser aber auch eine gesunde Form des Perfektionismus, die normal ist und dem Menschen gut tue.
Zudem erfolge in der Psychologie eine Unterscheidung des Perfektionismus: Zum einen, dass du entweder den Anspruch hast, dass dein Kind, dein Mann oder deine Arbeitskollegen perfekt „funktionieren“ oder zum anderen, dass du neben dem Erklimmen der Karriereleiter, den Haushalt mit der linken Hand erledigst, während du mit der rechten Hand das Memory mit deinen drei Kindern spielst. Ein rasches Ende durch die totale Überforderung scheint somit aber vorprogrammiert.
Wann ist Perfektionismus ungesund?
Das Setzen hoher Ansprüche oder Standards ist nicht unbedingt krankhaft. „Man unterscheidet in der Psychologie zwei Arten der Motivation: die intrinsische und die extrinsische“, so Bonelli. Entweder sei jemand von innen her motiviert, ein gutes Werk zu schaffen, er arbeite dann „sachlich“ wie Individualpsychologe Fritz Künkel definiert habe, oder eine Person sei primär auf seine Aussenwirkung bedacht und arbeite „ichhaft“. Unser Experte erklärt, dass diese Person in erster Linie nicht um der Sache willen, sondern um der Ehre willen arbeite. So könne man jemanden auch als „ehr-geizig“ verstehen, der stärker auf seine Aussenwirkung bedacht sei und weniger sachlich bezogen denkt und handelt.
Wege aus der Perfektionsfalle
Die meisten kennen es: Befindet man sich in einer Sackgasse, ist es wichtig – nach dem dreimaligen vor die Wand fahren – neue Wege zu suchen. Unser Experte rät im ersten Schritt zu einer kritischen Handlungsanalyse: Was genau motiviert mich? Denn die wenigsten Perfektionisten (im krankhaften Sinn) wüssten um ihr Problem. Die Selbsterkenntnis sei der beste Weg zu Besserung. Der zweite Schritt sei, sich selbst die Haltung der „Imperfektionstoleranz“ einzutrainieren: das Aushalten-Können seiner eigenen Fehlerhaftigkeit, die Selbstannahme mit den eigenen Defekten und Unvollkommenheiten habe eine heilsame Wirkung.
Vier Bilder der Perfektion und eine berufstätige Mutter
Besonders berufstätige Mütter sind durch ihre Mehrfachbelastung auf unterschiedlichen Ebenen mit dem Perfektionsgedanken konfrontiert. Denn neben dem Bild, das in der Öffentlichkeit, der Werbung und durch anderen Eltern gezeichnet wird, kommt als Sahnehäubchen der eigene Anspruch hinzu.
Die perfekte Mutter, die immer für ihre Kinder da ist, diese fördert und sich auch in der Schule engagiert, die perfekte Hausfrau, die einen tip-top Haushalt führt, die perfekte Mitarbeiterin, die eine glänzende Arbeitsleistung mit dem Wunsch nach anspruchsvolleren Aufgaben vereint und die perfekte Partnerin, die stets ein offenes Ohr für die Wünsche und Probleme ihres Partners hat: Berufstätige Mütter befinden sich in einem Karussell der Perfektion, die schwindelig macht.
Manchmal wird es leichter mit…
Weniger Perfektionismus und durch das Lernen, Abstriche zu machen. Denn dem Arbeitgeber hilft eine ausgeglichene gute Mitarbeiterin mehr als eine perfekte Kollegin mit Burnout.
Prioritäten setzen und „nein“ Sagen, denn die eigenen Bedürfnisse und die Machbarkeit sollte im Vordergrund stehen – nicht das Zusagen von weiteren Aufgaben.
Aktiv um Hilfe bitten ist für viele berufstätige Mütter eine grosse Hürde, wenn sie im Job sowieso schon gegen das „Teilzeit-Image“ kämpfen müssen. Dennoch ist es wichtig, nicht darauf zu warten, dass andere eine Überlastung erkennen, sondern selbst aktiv zu werden.
Zur Person:
Raphael Bonelli ist Neurowissenschaftler an der Sigmund Freud Universität in Wien sowie Psychiater und Psychotherapeut mit eigener Praxis. Forschungsaufenthalte führten ihn unter anderen an die amerikanische Harvard University. Neben zahlreichen anderen Publikationen veröffentlichte er das Buch „Perfektionismus. Wenn das Soll zum Muss wird.“, erschienen 2014 im Pattloch-Verlag.