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Umgang mit Schimpfwörtern und Kraftausdrücken

Sollten Eltern vor Kindern fluchen?

„Verdammt nochmal!“ Einmal nicht aufgepasst und schon rutscht einem ein Fluch heraus. Was tun, wenn das Kind ein Schimpfwort aufschnappt und es in der Folge selbst gebraucht?

Die Familie hat am Morgen zu lange getrödelt, Sie haben die Pausenbrote für die Kinder auf dem Küchentisch liegen gelassen, im Büro steht um neun Uhr eine wichtige Präsentation an und zu allem Überfluss stecken Sie auf dem Weg in die Kita nun auch noch im Stau fest. Da rutscht es Ihnen plötzlich heraus: „So eine Scheisse! Heute geht aber auch alles schief!“

Und schon ist es passiert. Sie können gerade noch im Kopf den Countdown zählen (drei… zwei… eins…), bis es kichernd von der Rückbank schallt: „Scheisse, Scheisse! Papa hat Scheisse gesagt!“.

Schimpfwörter faszinieren Kinder

Schimpfwörter üben auf Kinder ab einem bestimmten Alter eine grosse Faszination aus, denn sie eignen sich hervorragend, um Grenzen auszuloten. Andreas Bodemann, Leiter der psychologischen Beratungsstelle der Jugendhilfe des Evangelischen Johannesstift in Berlin, erklärt das Phänomen so: „Kinder erobern sich mit viel Spass und Neugier neue Bereiche. Der Reiz am Neuen ist etwas zutiefst Menschliches. Das Kind erlebt sich beim Gebrauch von Schimpfwörtern auch als besonders wirkungsvoll. Sogar die Erwachsenen, von denen sich einige dadurch auszeichnen, dass sie fast nie reagieren, melden sich zu Wort, wenn ein Kind Schimpfwörter gebraucht.“

Das Faszinierende an Schimpfwörtern sind für Kinder also zumeist nicht die Wörter an sich, sondern vielmehr die spannenden Reaktionen der Erwachsenen. Ein einziges Wort und Mama verschlägt es die Sprache, der Babysitter zuckt zusammen und Papa muss unwillkürlich laut loslachen.

Warum Fluchen sogar wichtig ist

Der Drang, zu fluchen ist nicht per se etwas Schlechtes – eher im Gegenteil. Schimpfwörter erfüllen eine psychische Entlastungsfunktion und dienen als Ventil, um im wahrsten Sinne des Wortes Dampf abzulassen und helfen uns bei der Bewältigung von Stress, Ärger und sogar körperlichen Schmerzen – das ist wissenschaftlich erwiesen. Wenn uns also ein herzhafter Fluch über die Lippen kommt, wenn wir uns den kleinen Zeh stossen  – oder eben im Stau stecken, wenn wir es eilig haben –  hat dies durchaus einen Sinn und trägt zum Stressabbau bei. Wer Ärger und Wut immer nur herunterschluckt und sich nie Luft macht, dem geht es damit auf lange Sicht nicht gut. Deswegen sollten auch Kinder mal schimpfen dürfen – in einem angemessenen Rahmen natürlich.

Wo Kinder sind, da sind Schimpfworte nicht weit

Auf dem Spielplatz, unterwegs beim Einkaufen, im Radio und Fernsehen und nicht zuletzt in der Kita:  Selbst, wenn Sie zu Hause penibel darauf achten, nicht vor Ihrem Kind zu fluchen, gibt es genügend andere Gelegenheiten, bei denen der Nachwuchs Schimpfwörter aufschnappen kann. Und die verankern sich viel leichter im Gedächtnis, als das mühsam beigebrachte „Bitte“ und „Danke“. Kinder verwenden Schimpfwörter, wenn ihnen Worte zur Argumentation fehlen und sie nicht wissen, wie sie sich in ihrer Wut anders Ausdruck anders verleihen sollen.

Hier ist Vorsicht geboten: „Ein Kind, das die Bedeutung der Wörter noch nicht einschätzen kann, wird diese schnell an unpassender Stelle benutzen und sich möglicherweise dadurch in Schwierigkeiten bringen“, gibt Andreas Bodemann zu bedenken. Denn nicht jeder Mitschüler auf dem Pausenhof reagiert gelassen, wenn er mit einem Schimpfwort beleidigt wird.

Wenn das Kind flucht: Handlungstipps für Eltern

Einfach überhören, zurechtweisen oder bestrafen? Die eine richtige Reaktion gibt es wie so oft auch hier nicht. Eine angemessene Reaktion hängt vom Alter des Kindes und von der Situation ab, in der die verbale Grenzüberschreitung geschieht.

„Zum einen ist es wichtig, dass ein Kind die Bedeutung der Schimpfwörter kennenlernt, um selbst einschätzen zu können, welche Schimpfwörter noch als angemessen durchgehen und welche nicht“, erklärt Andreas Bodemann. „Zum anderen ist es wichtig, die Situationen in denen Kinder Schimpfwörter gebrauchen wahrzunehmen. Ein Kind, das Angst hat oder verärgert ist, braucht in erster Linie eine Reaktion auf seine Angst oder seinen Ärger, es braucht Verständnis. Erst in zweiter Linie braucht es einen Kommentar zu dem missglückten Schimpfwort.“

Wie sollten Eltern reagieren, wenn ihnen beim nächsten Wutanfall ein „Blöde Scheisse! Alles ist Kacke!“ entgegen geschleudert wird?  Der Experte rät: „Zwei Dinge sind hier zu beachten: Meist hat das Kind einen Grund, ein Schimpfwort zu benutzen. Die Eltern können hier versuchen z. B. den Ärger, den ein Kind hat (z. B. über Misserfolge beim Fussball), zu verstehen, gleichzeitig aber auch deutlich machen, dass das gewählte Schimpfwort nicht angemessen ist. Oft ist es auch wichtig, das Kind überhaupt aus der schlechten Stimmung rauszuholen, z. B. durch ein anderes Beschäftigungsangebot. Damit zeigen Sie auch, dass die Welt nicht wegen eines misslungenen Fussballspiels untergeht.“

Schimpfwort ist nicht gleich Schimpfwort

Schimpfwörter kommen in verschiedenen Kategorien daher: Ausdrücke aus der Fäkal- und Vulgärsprache („Scheisse!“), Flüche („Verdammt nochmal!“) oder Vergleiche mit Tieren („Du blöder Esel“) und können unterschiedlich schlimm sein. Bei Beleidigungen wie „Doofie“ oder „Hampelmann“ fällt es leichter, gelassen zu reagieren. Anders verhält es sich mit wirklich derben Schimpfwörtern. Hier sollten Eltern klare Grenzen setzen und dem Kind vermitteln, dass man solche Worte nicht benutzen darf, weil sie den anderen beleidigen und sehr verletzend sind. Um sein Kind dazu anzuleiten, das eigene Verhalten zu reflektieren, können Sie es zum Beispiel fragen: „Wie würdest du dich fühlen, wenn jemand so etwas zu dir sagt?“ Die Erkenntnis, dass man das selbst nämlich gar nicht gut finden würde, stellt sich dann bald ein.

Einen angemessener Umgang mit Schimpfwörtern vorleben

Damit Kinder einen angemessenen Umgang mit Schimpfwörtern lernen, ist es wichtig, dass Eltern diesen auch vorleben und sowohl das Kind als auch sich untereinander nicht mit Schimpfwörtern zu belegen: „Es gibt Flüche, die sich auf das Kind direkt beziehen. Hier handelt es sich meist um Du-Botschaften: (du) Idiot, (du) Zicke… Hier wird nicht das kritisiert, was ein Kind getan hat, sondern gleich das ganze Kind. Dies hat vor allem Folgen für das Selbstbewusstsein des Kindes. Wenn Eltern sich gegenseitig mit solchen Flüchen belegen, ist es ebenfalls schwierig. Das Kind weiss genau, dass es zum Teil von der Mutter und zum Teil vom Vater kommt. Mit jeder Herabwürdigung des Anderen fühlt auch das Kind sich herabgewürdigt“, gibt Andreas Bodemann zu bedenken.

Schimpfort-Alternativen mit der Familie finden

Erfinden Sie kreative Alternativen, mit Ärger und Wut umzugehen. „In der Familie gibt es Möglichkeiten, Kindern ein Ersatzverhalten vorzuschlagen. Das Kind kann am Essenstisch z.B. einmal um den Stuhl gehen, wenn es sich ärgert. Spätestens, wenn das der Erwachsene auch mal macht, kann das sehr lustig werden“, schlägt Andreas Bodemann vor.  Zudem könne man gemeinsam festlegen, welches das schlimmste Schimpfwort ist, das Kinder sagen dürfen. Sie können auch ein Schimpfwort-Sparschwein einrichten, in das jedes Familienmitglied einzahlen muss, wenn ihm ein Schimpfwort herausrutscht. Oder Sie erklären bestimmte Orte in der Wohnung zur Schimpfwort-Zone, in der nach Herzenslust geflucht werden darf – beispielsweise im Badezimmer. Am Ende der Schimpftirade wird einmal die Spülung betätigt und die ganzen bösen Worte werden hinuntergespült. Denken Sie sich gemeinsam lustige und harmlose Schimpfwörter aus – das kann sogar richtig Spass machen!

Ausserhalb des familiären Rahmens muss sich das Kind allein bewähren. „Dies lässt sich aber gut vorbereiten. Beraten Sie ihr Kind! Was würdest Du sagen, wenn Paul sagt, dass Du ja keine Ahnung vom Fussball hast? Wichtig ist hierbei, dass ihr Kind auch witzige und schlagfertige Antworten übt. Das ist übrigens eine gute Mobbingprävention!“.



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